Eine Antwort/Ergänzung auf Bernhard Kerns Blogbeitrag "Piraten, Wie weiter?".
Hi Bernhard,
da ich ja nun einige Jährchen dabei bin, möchte ich noch ein paar Punkte ergänzen.
1. Ein Großteil der Piraten reflektiert ihr eigenes Handeln nicht.
Durch die um 2012 eingeführte Flausch-Un-Kultur wurde es unmöglich
gemacht, Kritik in der Sache anzubringen. Es zählte nur das sich
Wohlfühlen in der eigenen Peergroup. Da zwischen Kritik an Handlungen
und Kritik an Personen nicht differenziert wurde, staute sich a) Frust
bei denen auf, die zurecht Mißstände ansprachen, aber nicht gehört
wurden und b) fielen einige Piraten spätestens mit dem aBPT aus allen
Wolken, weil ihre Realität gegen die Realität auf dem aBPT prallte.
2. Durch die Wohlfühlatmosphäre rum um die jeweiligen Peergroups
(nehmen wir zB. Dresden-Neustadt) ergab es sich, daß Neuzugänge sich
nicht inhaltlich mit den Piraten auseinandersetzen, sondern wegen des
sozialen Miteinanders. Das wäre an sich voll okay, wenn es sich um einen
Stadtteilverein handeln würde. Für eine Partei ist dies tödlich, da
nach und nach das apolitische Socializing wichtiger wurde, als das
Sichauseinandersetzen mit dem Programm und den diesem zugrunde liegenden
Ideen. In der Folge wurde von den apolitischen Mitgliedern politische
Statements auf lautstarke Wortführer oder auf Wortführer mit everybodies
darling Charme delegiert. Da wie oben geschildert, gleichsam eine
kritische Auseinandersetzung mit Politik (auch innerparteilich) nicht
stattfand, führte dies zu einer Arbeitsweise, die mehr auf symbolischen
Bildern, denn auf Verstehen von Problemen und dem Ableiten von
Lösungsvorschlägen beruhte.
3. Sehr schön ist dieses symbolhafte Arbeiten in dem, im Laufe der
Zeit immer wiedermal auf Parteitagen zu hörenden, Statement “Aber wir
haben ja sonst kein Programm” wiederzufinden. Inhaltliche Arbeit sah im
Landesverband Sachsen daher so aus, daß irgendjemand voller Langeweile
über eine Webseite, zB. von Amnesty surfte, mit “Guck mal hier, das
klingt doch toll” sich den Text 1:1 kopierte und als Antrag an den LPT
einreichte.
Als Begründung wurde dann Copy-Remix-Share hergeholt, faktisch fand aber
eine Einordnung in das bestehende Programm, eine Herleitung, warum wir
das fordern sollten nicht statt. Auf den Parteitagen hing dann das Wohl
und Wehe dieses Antrags nur davon ab, ob die obengenannten Wortführer
der Peergroup das gut fanden oder nicht.
4. Im Nachgang von Bombergate zeigte sich der mangelnde
Reflexionswillen und die apolitische Einstellung an mehreren Punkten.
Zum einen wurde nicht zur Kenntnis genommen, daß nicht Anne Helms Brüste
– Aktion der Auslöser der tiefen Krise war. Der Konflikt, der sich
schon mit dem Flaggengate abzeichnete ist nach meinem Verständnis darauf
zurückzuführen, daß eine schleichende Verletzung des common sense der
Piraten (an der Stelle sei erstmal egal, ob bewusst induziert oder
nicht) stattfand. Dieser common sense war, daß es bei Piraten egal war,
woher Du kommst, wer Du bist, Hauptsache Du fühlst und agierst wie ein
Pirat. Durch das Peergroupfeeling einerseits, aber auch durch stetig
wiederholte Mantra von “Piraten müssen sich positionieren, sonst sind
sie Nazi” wurde die Heterogenität, die bisher Stärke war, durch
Konformismusdruck in Frage gestellt.
Deutlich wurde und wird dies, wenn man jedem Mitglied mal die Frage stellt: “Warum bist Du Mitglied bei Piraten geworden?”
Als Analogie könnten wir uns mal kurz vorstellen, es gäbe da einen
Fußballverein und der sucht Leute. Du spielst gerne Fußball, trittst
ein, engagierst Dich mit Herzblut, hilfst beim Rasen pflanzen, Aufbauen
der Umzugskabinen und machst Werbung für Deinen Verein. Du bist jedes
Wochenende auf dem Platz, und freust Dich, weil Fußball hier seine
Heimat gefunden hat. Eines Tages kommst Du hin, da steht eine Delegation
Deiner Teammitglieder am Eingang und verteilt Regelheftchen. Du sollst
demnach nicht mehr in 11-er Aufstellung spielen, Fußball und Tore kommen
weg, ein Schläger wird Dir in die Hand gedrückt, denn ab heute ist Golf
das Spiel der Wahl.
Das ist leicht überspitzt der Zustand der Piraten in diesen Tagen.
Und der aBPT im Vergleich die Vollversammlung, die den Golffußballern
sagt, “Nö, so geht das nicht…”. Nur, damit das nicht falsch rüberkommt,
ich mag viele der “Golffußballer”, es sind da echt tolle Menschen dabei.
5. Jetzt noch ein letztes Wort dazu, warum die Gründung der
“Progressiven Plattform” ein Affront ist. Zum ersten ist wäre da der
Name, der suggeriert, alle Piraten, die nicht unter dieser Plattform
versammelt wären, seien nicht progressiv, sondern hinterwäldlerisch. Wer
nicht spalten will, sollte auch nicht einen solchen Namen wählen. Man
hätte ja auch “Halles Helden” wählen können.
Der zweite Punkt ist der, daß im Rahmen der Progressiven Plattform die
ganze Unehrlichkeit einzelner Sprachrohre zum Ausdruck kommt. Ich kann
mich sehr gut erinnern, welch Aufschrei von etlichen kam, als sich vor
einem (?) Jahr das Frankfurter Kollegium gegründet hatte. Von
Intransparenz, Mauschelei, von Verrat an der Partei war die Rede. Und
jetzt? Die gleichen Schreihälse von damals nutzen die gleichen Methoden
und agieren ebenfalls intransparent. Nehmen wir einen der Wortführer,
nennen wir ihn August, immer wieder mit Forderungen nach “Transparenz”
und nach “SMV” aufgetreten, organisiert sich und seine Peergroup nicht
einsehbar über bilaterale Gespräche und unter der Hand Absprachen. Er
gehört zur Zeit- und Geldelite, fordert SMV und reist beständig umher um
sich bekanntzumachen. Progressiv? Nein.
Ich hoffe, daß nach und nach jedem Piraten klar wird, dass sich was
ändern muß. Wir müssen aufhören Forderungen zu stellen, die wir selber
nicht bereit sind zu leben. Wenn wir “Trennung von Amt und Mandat”
fordern, dann müssen wir es leben. Wenn wir “Gleichberechtigte Teilhabe”
fordern, dann müssen Treffen so gestaltet sein, daß jeder Interessierte
auch in der Lage ist, sich darauf einzurichten (dann kann man nicht 3
Tage vor der Angst erst mitteilen, dass dann ein Treffen ist). Wenn wir
feststellen, und zwar nicht nur für uns, dass Bildung das wichtigste
Thema zB. im Wahlkampf ist, dann sollte Bildung auch auf der Agenda sein
und nicht ‘ne Magnetschwebebahn, wo sich nachweislich keiner mit
möglichen Kosten, Nutzen und Randbedingungen auseinander gesetzt hat.
Wenn wir “verschiedene Lebensentwürfe akzeptieren”, dann muß Schluss
sein mit Konformitätsdruck und wenn wir “Nazis bekämpfen” wollen, dann
bitte nicht nur indem man ritualisiert zum 13. Februar Fahnen schwenkt,
sondern in dem man die Ursachen angeht.
Kurzum, ich wünsche mir, daß Piraten glaubhaft sind, für
Symbolpolitik hätte ich auch zu den Grünen gehen können. Und wenn wir
statt selbst zu denken und kritisch zu sein, lieber eine
Wohlfühlatmosphäre haben wollen, dann wäre ein Kaffeekränzchen beim CDU
Ortsbeirat die bessere Wahl gewesen.
So, und nun habe ich Dank Dir, Bernhard, mir meine Piratenseele vom
Leib geschrieben. Wird es was bringen? Ich hoffe es, aber ich zweifele.
Beste Grüße Andreas
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